Mastitis: Oft liegt es auch an der Melktechnik
Für hohe Zellzahlen und gehäufte Euterentzündungen werden meist Mängel im Bereich der Hygiene, Nährstoffversorgung und Futtermittelqualität verantwortlich gemacht. Oft tragen aber vermeidbare Fehler der Melktechnik zu Eutererkrankungen bei.
25.10.2021Autor: Dr. Dirk HÖMBERG
Spezialberater für Melktechnik und Eutergesundheit, Münster, www.melkberatung.com
Viele Milchviehbetriebe klagen zurecht über hohe Zellzahlen und Euterentzündungen sowie unbefriedigende Milchleistungen. Die möglichen Ursachen liegen zwar nicht nur im Bereich der Melktechnik und Melkarbeit. Beides hat jedoch entscheidenden Einfluss auf Eutergesundheit und Milchleistung.
Belastung des Zitzengewebes
Von besonderer Bedeutung ist hier die Belastung des Zitzengewebes während des Melkens. Diese liese sich zwar auf ein vertretbares Mas reduzieren. Meist ist sie aber derart hoch, dass die Zitzen nach dem Melken verformt und verfärbt sind. Noch wesentlich schlimmer ist, dass durch eine hohe mechanische Beanspruchung besonders an dünnen, spitzen Zitzenkuppen Hornhautringe an der Zitzenöffnung, sogenannte Hyperkeratosen entstehen. Selbige bewirken nicht nur die Verengung der Strichkanale und somit eine „erworbene Schwermelkigkeit“. Sie haben auch eine massive Beeinträchtigung der Infektionsbarrieren zur Folge. Entgegen verbreiteter Aussagen steigern auch leichte und mittelmäsige Hyperkeratosen trotz ihres relativ harmlosen Aussehens das Mastitisrisiko um 20 bis 40 %! Sie sind also nicht unkritisch und auch nicht die angeblich normale Folge maschinellen Melkens. Vielmehr sind die verbreiteten Zitzenschäden die Folge eines meist unnötig aggressiven Melkens.
Auf das Vakuum im Melkzeug kommt es ganz besonders an
Die technischen Gründe für eine zu starke Gewebebelastung sind vielfältig. Zentrale Bedeutung haben hier die Höhe und der Verlauf des Vakuums innerhalb der Zitzengummis. Wichtig ist u.a., dass dieses Zitzenvakuum nicht generell zu hoch ist (> 40-42 kPa) und dass während der Saugphasen keine vermeidbar hohen „milchflussabhängigen Vakuumverluste” auftreten. Denn meist wird zu deren vermeintlichem Ausgleich das Anlagenvakuum auf deutlich über 40 kPa eingestellt. Dieses erhöhte Vakuum wirkt wiederum bei geringen Milchflüssen, also insbesondere gegen Ende des Melkvorgangs unvermindert auf die Euter ein. Starke Gewebebelastungen, hohe Nachgemelke und vermehrte Euterentzündungen sind die Folgen.
Ein nicht weniger gravierender Nachteil hoher Vakuumverluste ist, dass sie das Abmelken freigesetzter Milch bremsen und so insbesondere bei gut gefüllten Eutern die vollständige Milchejektion verhindern. Die somit unvollständige Euterentleerung zeigt sich überwiegend darin, dass die Euter nach dem Melken allenfalls unvollständig erschlafft sind. Durch die entsprechend erhöhten Mengen „gebundener Restmilch” werden die Eutergesundheit und Milchleistung nicht minder beeinträchtigt als durch eine erhöhte Belastung des Zitzengewebes. Eine solche wird noch immer im Wesentlichen dadurch bewirkt, dass das Zitzenvakuum in den Entlastungsphasen deutlich über ca. 20 kPa liegt. Dadurch werden die Zitzen permanent längs gestreckt und entsprechend belastet. Hinzu kommt, dass die Zitzenkuppen durch anhaltend hohes Vakuum anschwellen und somit zunehmend empfindlich gegenüber mechanischer Belastung werden. Gleichzeitig üben die Zitzengummis während der Entlastungsphasen wegen der hohen Vakuumdifferenz zwischen Innen- und Außenseite der Zitzengummiwände einen großen Massagedruck auf die Zitzenspitzen aus. Letztlich wird so die Verhärtung der Zitzenspitzen und das Entstehen von Hyperkeratosen begünstigt.Vermeiden lassen sich die beschriebenen Probleme zum einen durch spezielle Melkzeuge, in denen das Zitzenvakuum während der Entlastungsphasen auf 15-20 kPa abgesenkt wird. Zum anderen darf der Milchfluss zwischen Euter und Milchleitung im Interesse stabilen Saugphasenvakuums nicht behindert werden, z.B. durch Milchmengenmessgeräte mit Querschnittsverengungen.
Zitzengummis müssen zur Herde passen
Weitere Schlüsselpunkte der Melktechnik sind die Abmessungen und Beschaffenheit der Zitzengummis. Ist deren Schaftdurchmesser deutlich größer als der Durchmesser der Zitzen, werden diese während der Saugphasen überdehnt. Direkte Gewebeschäden mit Hyperkeratosen sind die Folge. Gleiches gilt, wenn die Zitzengummiköpfe länger sind als die Zitzen. Hingegen bestehen die negativen Folgen zu enger Zitzengummis in einer Einengung der Strichkanäle und der daraus resultierenden Erhöhung der Melkdauer, Gewebebelastung und Restmilchmengen. Zu kurze Zitzengummis führen schließlich zu einer mangelnden Zitzenmassage, da sich die Gummischäfte nicht mehr schließen können.
Schlechter Melkbechersitz
behindert die Milchabgabe
Gewebeschäden und dadurch begünstigte Euterentzündungen werden oft auch durch schlechtsitzende Melkbecher hervorgerufen. Hängen diese z.B. verdreht unter dem Euter, werden die Zitzen verbogen und die Strichkanäle eingeengt. Zunehmende Melkdauer und schlechtes Ausmelken sind die Folgen. Gleiches gilt, wenn die Melkbecher vom Gewicht der langen Milchschläuche an den vorderen Zitzen heruntergezogen und an den Hintervierteln gegen das Euter gedrückt werden.
Blindmelken und Erregerübertragung verhindern
Ebenfalls äußerst gewebebelastend ist eine verspätete Melkzeugabnahme. Durch das damit verbundene Blindmelken werden die Zitzenkuppen und ihre Infektionsbarrieren unmittelbar und massiv geschädigt! Gleichermaßen schädlich ist eine Übertragung von Krankheitserregern beim Melken. In diesem Zusammenhang sind sowohl technische Defizite als auch mangelnde Arbeitshygiene zu nennen. Bei den technischen Mängeln spielen u.a. zu enge „kurze Milchschläuche“ (< 10 mm) eine große Rolle. Hier staut sich die Milch zurück bis in die Zitzengummis, so dass es zum „Zitzenbaden“ und zur Erregerübertragung kommt.
Daneben führen auch Lufteinbrüche (z.B. wegen fehlender Schlauchführung) und unkontrollierte Vakuumschwankungen in Melkleitungen und Melkzeugen zur Übertragung von Krankheitserregen. Gemeint ist in diesem Zusammenhang nicht die zuvor erwähnte Vakuumabsenkung in den Zitzengummis während der Entlastungsphasen!
Ausmelken: Kein Gewöhnungseffekt
Schließlich kommt auch dem Ausmelkgrad eine Schlüsselstellung für die Eutergesundheit und Milchleistung zu. Denn mit der Restmilch werden Nährstoffe, Krankheitserreger und deren Zellgifte sowie ein die Milchbildung hemmender „Alveoleninhibitor” (Bestandteil des Molkenproteins) aus dem Euter entfernt. In der Praxis verbleibt aber oft schon im Milchbildungsgewebe wegen zu langsamem Melken (z.B. durch Vakuumverluste) vermeidbar viel schädliche Restmilch. Zudem wird leider viel zu oft darauf verzichtet, das sogenannte Nachgemelk durch kurzes Hinunterdrücken der Melkzeuge bzw. durch Einsatz von Nachmelkautomaten zu gewinnen. Und zwar nicht nur wegen des dafür anfallenden Arbeitszeitbedarfs bzw. der Anschaffungskosten, sondern oft wegen der Befürchtung, den Kühen durch das Nachmelken erst ein schlechtes Ausmelken anzugewöhnen. Diese Annahme beruht auf der Beobachtung, dass die Nachgemelkmengen mit zunehmendem Alter der Kühe steigen. Grund dafür ist jedoch nicht der angenommene Gewöhnungseffekt, sondern das Erschlaffen der alternden Euter.