Mehr geborene Ferkel – ist das der richtige Trend?
Lange Jahre schien es bei der modernen Genetik nur um ein Ziel zu gehen: Mehr lebend geborene Ferkel pro Wurf sollte die Produktionsleistung der Sauen steigern. Was kalkulatorisch auf den ersten Blick sehr einleuchtend erscheint, bringt in der Praxis mehrere direkte wie auch indirekte Fragestellungen und Herausforderungen mit sich. Und obwohl viele Betriebe sehr unterschiedlich arbeiten und andere Faktoren limitierend sein können, lassen sich doch die folgend aufgeführten Punkte allgemein zusammenfassen.
16.09.2020Mehr geborene Ferkel – weniger Platz pro Ferkel
Mehr als offensichtlich scheint der Punkt, dass mehr geborene Ferkel auch mehr Platz in Anspruch nehmen. Allerdings ist der Platz pro Wurf baulich starr vorgegeben. Detailliert betrachtet, kommt es bei weniger Platz pro Ferkel automatisch zu einer höheren Mortalität durch Erdrücken, Auskühlung und zu geringerer Kolostrum Aufnahme, wie in unterschiedlichen Untersuchungen bestätigt wurde. Dieses „Platzproblem“ setzt sich dann oft im Flatdeck fort, gerade bei älteren Baukonzepten, die nicht für diese große Anzahl
Ferkel dimensioniert sind. Während hier viele Stallbaufirmen mit unterschiedlichsten Lösungsansätzen aufwarten, ist dem „Gedränge“ in der Abferkelbucht nicht so einfach zu begegnen. Hinzu kommt, dass die Anzahl kleiner und anfälliger Ferkel ansteigt. Denn Platzmangel beginnt bereits in der Gebärmutter. Und so beginnt der Kampf um die Nährstoffe schon vor der Geburt. Die Folge: neben einem insgesamt reduzierten Geburtsgewicht treten auch immer häufiger Ferkel mit IUGR Symptomen auf. (siehe Kasten)
Je größer die Würfe, desto leichter die 3 kleinsten Ferkel. Erreichen die Ferkel die kritische Marke von 900g, sinkt ihre Überlebenschancen auf unter 50%. |
Mehr geborene Ferkel – geringeres Absetzgewicht
Die Gewichtsverteilung innerhalb eines Wurfes ist bei kleinen wie auch großen Würfen ähnlich (Gauss-Kurve). Es gibt immer einen Teil kleinerer und einen Teil größerer Ferkel, die vom Mittel abweichen. Ziel sollten immer möglichst homogene Würfe sein, um die Größenunterschiede nicht zu ausgeprägt zu entwickeln. Da jedoch das gesamte Gewicht des Wurfes limitiert ist, kommt es bei großen Würfen zwangsläufig zu kleineren Ferkeln. Es zeigt sich in Untersuchungen deutlich, dass ab einer Wurfgröße von 11 Ferkeln das Gewicht der 3 kleinsten Ferkel signifikant abnimmt und diese damit in den gefährdeten Gewichtsbereich unter 1000g fallen.
Die Tatsache, dass sich ein schlechter Start bis zum Mastende nicht mehr aufholen lässt, beschäftigt viele Studien. Tendenziell haben Ferkel mit einem geringeren Geburtsgewicht auch geringere Gewichtszunahmen und eine schlechtere Futterverwertung. Damit verzögert sich sowohl die Aufzucht als auch die Mast. Auch hier sei noch einmal auf den erhöhten Platzbedarf und Futteraufwand für diese Tiere hingewiesen. Zusammengenommen resultieren diese Effekte in reduzierten Magerfleischanteilen. Damit ist auch der Erlös am Schlachthof reduziert. Im Vergleich zu der, gegenüber normalgewichtigen Ferkeln, auch teureren Aufzucht und Mast lässt sich oft keine positive finanzielle Bilanz für die kleinen Ferkel berechnen.
Zufüttern zahl sich aus – gerade bei kleinen Ferkeln Gerade kleinere Ferkel haben oft Schwierigkeiten sich an der Sau zu behaupten und genügend Milch zu bekommen. Durch zusätzlich angebotenes Futter wird ein weiteres Auseinanderwachsen mit den großen Ferkeln verhindert. Allerdings muss auch hier Zeit eingeplant werden, um die Anfütterungsphase auf diese kleinen Ferkel abzustimmen. Hier müssen vor allem schmackhafte und höchst verdauliche Milch und Prestarter eingesetzt werden, um eine gute Futteraufnahme zu erreichen. So kann für den gesamten Wurf ein höheres Gewicht beim Absetzen sowie eine bessere Futteraufnahme erzielt werden. Diese bessere Futteraufnahme setzt sich auch nach dem Absetzen fort und resultiert in verbesserten Zunahmen in der gesamten Absetzperiode. Ein zusätzlicher Effekt ergibt sich auch auf die Gesundheit dieser Ferkel. So kann durch Zufütterung bei großen Würfen eine bessere Homogenität erreicht werden und eine verbesserte „Lebensleistung“, da sich diese Effekte über die gesamte Aufzucht und Mast weiterziehen. |
Mehr geborene Ferkel – längere Abferkelzeiten
Auch dieser Zusammenhang klingt zunächst simpel. Je mehr Ferkel den Geburtsweg passieren müssen, umso mehr Zeit benötigt die Geburt. Aber auch hier sind die Folgen vielschichtig. Die verlängerte Geburt kann für den Stoffwechsel der Sauen höchst belastend sein. Komplikationen, Totgeburten und negative Effekte auf die folgende Laktation nehmen proportional zur Geburtenlänge zu. Bei den Ferkeln verhält sich dies ähnlich. Je länger die Geburt, desto mehr häufen sich die negativen Auswirkungen. Eine Studie aus Kanada (Zhang) zeigt eindrucksvoll, dass eine direkte Gabe von Wärme nach der Geburt die Überlebensrate der Ferkel nicht verbessern konnte. Allerdings konnte durch die Beatmung mit Sauerstoff die Ferkelmortalität verringert werden. Dies spricht für das Auftreten eines starken Sauerstoffmangels während eines längeren Geburtsverlaufes, was aus dem Humanbereich auch bereits bekannt ist. So werden durch lange Geburten die Vitalfunktionen von beiden, der Ferkel wie auch der Sau, negativ beeinflusst. Zusätzlich gibt es Beobachtungen, dass sich die 115 Tage Tragezeit, ohne geburtseinleitende Maßnahmen, bei der Genetik mit hoher Ferkelzahl eher in Richtung 117 Tage verschiebt. Hier sollten geburtseinleitende Maßnahmen auf ein Minimum begrenzt und detailliert mit dem Tierarzt besprochen werden. Gerade bei den kleinen Ferkeln verbessert jeder weitere Tag die Überlebenschancen maßgeblich. Doch auch dies ist in unseren Systemen und Arbeitsabläufen nicht einfach umsetzbar.
Mehr geborene Ferkel – Faktor Zeit und Arbeitsaufwand
„Für die 10% kleinsten Ferkel braucht man 50% des Arbeitsaufwandes“. Auch dies ist eine Betrachtung, die man für den einzelnen Betrieb und dessen Ressourcen gesondert bewerten muss. Gerade in den ersten Tagen muss sehr viel Aufwand in die kleinen und schwachen Ferkel investiert werden. Das Management rund um die Geburt und die Kolostrumaufnahme ist zeitintensiv, aber unumgänglich. Auch erhöht sich bei großen Würfen die Notwendigkeit von Zufütterung und Ammen(systemen). Weitere resultierende Faktoren sind z.B. der Platzbedarf, der sich durch eine verlängerte Säugezeit dieser Ferkel ergibt und die Kosten dieser Maßnahmen. Klar ist, das Beste für die Ferkel ist und bleibt Sauenmilch. Daher sollte immer das Ziel sein die Milchleistung der Sau optimal auszuprägen und zu unterstützen. Dies spart sowohl Geld als auch Arbeitsaufwand, und verbessert die Vitalität der Ferkel.
Mehr geborene Ferkel – Höchstleistung im Stoffwechsel der Sau
Gerade die kleineren Ferkel brauchen in den ersten Lebensstunden einen perfekten Start, bei dem nichts schiefgehen darf. Direkt nach der Geburt muss die Aufnahme von ausreichend Kolostrum in bester Qualität gewährleistet sein. Dies bedeutet, dass die Sauen „auf den Punkt“ in die Milch kommen müssen, um alle Ferkel des großen Wurfes mit Kolostrum und Milch zu versorgen. Um dorthin zu gelangen, benötigt es tiefgreifende Umstellungen im Stoffwechsel, die in den letzten Tagen vor der Geburt eingeleitet werden. Der Metabolismus in der Leber erfährt in dieser Zeit eine radikale Umkehrung. Während in der Trächtigkeit der Stoffwechsel der Sau darauf ausgelegt war Reserven aufzubauen, ist es nun nötig diese Reserven zu mobilisieren und für die Milchproduktion zur Verfügung zu stellen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass der komplette Glycogenstoffwechsel über die Leber abgewickelt wird, wird deutlich wie schnell negative Einflüsse auf die Leber die Milchproduktion beeinflussen können (siehe Bild). Nur eine gesunde Sau mit einer gesunden Leber kann diese Umstellung reibungslos leisten und ihre Ferkel mit ausreichend Milch versorgen. In vielen Betrieben wird in dieser Phase ein Geburtsvorbereitungsfutter eingesetzt, das den Sauen diese Umstellung erleichtern soll. Manche Nährstoffe und Futterzusätze können die Leber zusätzlich dadurch unterstützen, dass sie den Zitronensäurezyklus mithilfe bestimmter B-Vitamine sowie ausgewählter Pflanzenextrakte und spezifischer stimulierender Stoffe anregen. Je nach Situation können diese Substanzen dem Laktations-, Übergangs- oder sogar dem Tragefutter beigemengt werden, um die Sauen bestmöglich zu unterstützen (Tabelle 1). Eine bessere Milchleistung lässt sich entweder an einem höheren Absetzgewicht des ganzen Wurfes, oder mehr überlebende/abgesetzte Ferkel identifizieren.
IUGR = intra-uterin growth retardation Ferkel mit vorgeburtlicher Wachstumsverzögerung treten vermehrt in großen Würfen auf. Dabei kommt es zu einer Unterentwicklung in der Trächtigkeit, die durch Unterversorgung mit Nährstoffen ausgelöst wird. Als Grund wird die schlechte Ausbildung von Versorgungsgefäßen oder Abklemmung derselben gesehen, was In mehreren Studien (Amdi et al., 2013; Hales et al., 2013) wurde das Phänomen der IUGR Ferkel untersucht. Bei 30% der neugeborenen dänischen Ferkel wurde in diesen Studien Anzeichen von IUGR Symptomen festgestellt. Diese Ferkel sind neben ihrer geringen Körpergröße auch erkennbar an ihrer steilen, delfinartigen Kopfform (siehe Bild), den herausstechenden Augen und einem Haarwuchs ohne richtige Anordnung. Auch eine veränderte Muskelmorphologie wird mit IUGR in Verbindung gebracht. Neben der hohen Sterblichkeit zeigen diese Ferkel auch verschlechterte Tageszunahmen und eine schlechtere Futterverwertung. Die Summe dieser Effekte und die verlangsamte Aufzuchtleistung führen dann zu verringertem Magerfleisch und letztlich zu einer negativen Kostenbilanz über die gesamte Lebensleistung hin betrachtet. |
Fazit
Sehr viele Faktoren spielen beim Handling von großen Würfen eine Rolle. Nicht außer Acht zu lassen ist auch, dass die höhere Mortalität sowohl bei Produzenten als auch Konsumenten gleichermaßen zunehmend auf Widerspruch stößt. Auch der erhöhte Arbeitsaufwand und Platzbedarf, der mit den kleinen Ferkeln dieser Würfe einhergeht, ist nicht auf jedem Betrieb umsetzbar. Denn schon von einem rein ökonomischen Standpunkt aus kann man sich einen schlechten Start der kleineren Ferkel gar nicht leisten. Da die ersten Wochen eine direkte Auswirkung auf die Aufzucht und Mastleistungen haben, werden hier die Weichen für eine kosteneffiziente Produktion gelegt. Von zentraler Bedeutung ist, dass sowohl die Sauen als auch die Ferkel optimal durch das Management und angepasste Fütterungskonzepte unterstützt werden, um das richtige Gleichgewicht zu finden und bei hoher Leistung die Mortalität so gering wie möglich zu halten.
Dieser Beitrag erschien in den DLG Mitteilungen, 07/2020 unter dem Titel "Die Kehrseite der großen Würfe"